Sonntag, 4. März 2012

Motivationsseminar


Treue Leser mögen sich an die Abenteuer von JoBo erinnern. Nach dem abenteuerlichen Langstreckenflug als Copilot, dem Vierleger als Kapitän und den Winterferien im Engadin, begleiten wir den Jungkapitän heute an ein Motivationsseminar. Man möge mir Tippfehler verzeihen, ich habe diesen Beitrag auf dem iPad verfasst.


Im Hintergrund läuft Jazz. Nicht diese berührenden und schwermütigen Töne, die man aus den Spellunken von Chicago kennt, sondern nervöse Klänge von einem Instrument, das sie in den Südstaten Banjo nennen.

Die vorderen Reihen waren leer, hinten drängten sich die Teilnehmer. Vier Flipcharts zählte JoBo und dahinter standen ein paar Pinnwände mit unbeschriebenem Packpapier bezogen. Das roch verdächtig nach Gruppenarbeit, das konnte ja heiter werden.

Die Dixieland-Klänge wurden leiser gedreht und der Dozent trat vor die Gruppe. Er trug die typische Lehrerkluft. Die Gesundheitsschuhe mit besonds viel Zehenfreiheit hätten wieder einmal eine Auffrischung vertragen. Sonst erschienen der Coach — so nannte er sich, tadellos gekleidet. Über die hellbraune Hose hing das karrierte Hemd und wurde von einem braunen Sakko aus Cord überdeckt, dessen Ellenbogenbereiche mit rotem Leder geschützt waren.

JoBo schaute sich im Klasenzimmer um. Die meisten seiner Kollegen sassen still im Sessel, hatten das Tagesprogramm vor sich und schauten abwesend auf einen immaginären Punkt irgendwo an der Wand hinter dem Coach. Dieser wirbelte im Raum herum und sprach schneller, als das Banjo noch vor Minutenfrist spielte.

Ein Copilot blödelte mit dem Handy herum und ausser einer Kollegin aus der Kabine, hörte niemand richtig zu. Es war auch noch viel zu früh. Der Zeiger der Uhr zeigte noch nicht einmal halb Neun und JoBo hatte bereits einen bedrohlich tiefen Koffeinspiegel.
Er studierte wann und wo er mit der Kabinenkollegin unterwegs war. Keine fünf Minuten später zauberte das Erinnerungsvermögen JoBo ein Lächeln auf die Lippen. Zara hieß die Kollegin und vor vielen Jahren war er mit der damals noch jungen und knackigen Zara in New York unterwegs. Ins Bett ging er damals mit der Trix, aber das war eine andere Geschichte.

"So kommen wir nun zur ersten Gruppenarbeit. Wir bilden drei Gruppen, die einen kleinen Vortrag zum Thema 'Kommunikation zwischen Hierarchiestufen' vorbereiten. Als Hilfsmittel stehen Flipcharts, das Whiteboard, Pinnwände und der Moderatorenkoffer, der wie immer mit verschiedenen Hilfsmitteln ausgestattet ist, zur Verfügung. Der Zeitrahmen beträgt 45 Minuten, danach gibt es Pause."

JoBo war in der Gruppe mit Zara, dem Handy Copiloten und einem Kollegen von einer anderen Flotte eingeteilt. Zara riss die Führung an sich und stellte sich ausgerüstet mit farbigen Stiften und bunten Papiersymbolen in Wolkenform vor das Flipchart. Doch wer glaubte sie beginne gleich mit der Arbeit, täuschte sich gewaltig. Zara zeichnete einen kunstvollen Rahmen um das Flipchart herum und verzierte es mit Blumen und anderen Symbolen. JoBo erinnerte das an die Motive der Bauernmalerei, die seine Großmutter auf die unmöglichsten Gebrauchsgegenstände zauberte. Es waren bereits zehn Minuten um, als das Kunstwerk endlich fertig war.
"Um was geht es eigentlich?", erkundigte sich der Handy-Copilot mit norddeutschem Akzent. "Um die Kommunikation zwischen den Hierarchiestufen", fauchte Zara zurück. "Warum verunstaltest du das Flipchart dermassen? Die Kommunikation zwischen Kabine und Cockpit ist doch klar geregelt. Entweder tanzt du nach der Pfeiffe des Kapitäns, oder falls der gerade nicht vor Ort ist, nach meiner! Da ändert auch dein Kunstwerk nichts daran."
Er tippte wieder Nachrichten in sein Handy und bemerkte nicht, wie Zara rot anlief. Die Aussagen des Copiloten kombiniert mit seiner Arroganz, brachten ihr Blut zum kochen. "Du arroganter kleiner Schwabe, was fällt dir eigentlich ein, mich so zu behandeln?"
"Erstens bin ich Schleswig-Holsteiner und zweitens scheinst du mit der nackten Wahrheit nicht umgehen zu können."

Der Coach schritt ein und unterbrach die Gruppenarbeiten. "In Gruppe zwei scheint es unausgesprochene Konflikte zu geben. Alle Teilnehmer greifen sich einen Stuhl und wir bilden einen Kreis. Begeben wir uns auf die Meta-Ebene und diskutieren dies aus."

JoBo ahnte, was ihm jetzt drohte. Solche Diskussionen führten nie zum Ziel und noch weniger in die Pause. Zara war der personifizierte Albtraum jedes Motivationsseminar-Teilnehmers. Solche Kurse liessen sich nur im STBY-Mode überleben. Übetriebenes Engagement führte zwangsläufig zu Mehrarbeit und späterem Feierabend.

Zara jammerte sich die Seele aus dem Leib und der Rest der Truppe fixierte diesen ominösen Punkt an der Wand, bei dessen Anblick einem das Zeitgefühl abhanden kommt.
Nach 30 Minuten holten die Beatles mit "let it be" die Seminarteilnehmer aus der Meta-Ebene zurück. Der Handy-Copilot spielte zum richtigen Zeitpunkt das richtige Lied auf seiner transportablen Jukebox ab.

"Das klärende Gespräche war wichtiger als die Pause. Ich schlage vor, dass die Gruppen auf ihren Kaffee verzichten und den Vortrag beenden." Ein Raunen ging durch die Reihen und JoBo schnappte sich den dicksten Filzstift, den er finden konnte. Er lief zum Whiteboard und schrieb mit großen Lettern: KOMMUNIKATION IST WICHTIG, KAFFEE AUCH!

Er packte seinen Geldbeutel und verschwand Richtung Cafeteria.

Noch bevor er die Türe hinter sich schloss, hörte er ein lautes und verzweifeltes "NEIN" des Coachs. Ob JoBo wohl die falschen Filzstifte erwischt hat?

Nach einem doppelten Espresso und einem Maisbrötchen, gemacht mit helvetischer Aufbackkunst, sah die Welt wieder ganz anders aus. Er marschierte Richtung Seminarraum, wo es ungewöhnlich streng roch. Der Hausmmeister fluchte in seinen Blaumann gekleidet laut vor sich hin und versuchte mit ätzender Flüssigkeit JoBos Weisheiten vom Whiteboard zu wischen. "Wie oft muss ich euch noch sagen, dass man auf dem Whiteboard mit wasserlöslichen Farben schreiben soll!"
Im Hintergrund lief Dixieland, was die Situation auch nicht unbedingt beruhigte. Zara zeichnete Tiere auf ihr noch unbeschriebenes Flipboard Chart und der Copilot sendete ununterbrochen Nachrichten Richtung Norden.

Es wurde langsam Mittag und die Mägen knurrten. Der Coach pendelte zwischen Whiteboard, Fipchart und Pinwand hin und her und fasste immer wieder zusammen, was die Truppe aus Nichtinteresse verpasste. Zara schrieb mit, benutzte sechs verschiedene Leuchtstifste, um die Notizen zu verschönern und hing dem Coach an den Lippen.
"Wenn keine Fragen mehr sind, dann machen wir nach dem Lunch weiter."
Zara hatte vier Fragen...

Unter dem Vorwand, er müsse im OPS noch etwas erledigen, schlich sich JoBo davon und bestellte beim Thai am Flughafen eine Tom Kha Gai – aufgewärmt aus der Büchse.
Eine Galllone Kaffee vom Starbucks folgte und ehe er sich versah, sass er wieder gegenüber Zara im Klassenzimmer.
Ein gewisser Malcom Dawis spielte Dixieland.
Der Coach brauchte dringend Ritalin, so die schnelle Diagnose JoBos. Stolz lief er in seinem Cord Anzug zwischen den Flipcharts herum und fasste den Morgen noch einmal zusammen. Für JoBo war alles ziemlich neu, er schien am Vormittag wirklich einiges verpasst zu haben.

Von der hinteren Reihe zog der Coach eine alte und wacklige Pinwand hervor, auf der eine Aufgabe stand. "Führen durch Vertrauen", so die Überschrift.
Darunter waren einige Strichmannchen stumme Zeugen davon, dass der Coach fest davon überzeugt war, dass Worte immer von grafischen Elementen begleitet werden müssen.

"Wir bilden Zweiergruppen, die einander durch die Gänge führen, wobei dem Geführten die Augen verbunden werden. Sind noch Fragen?"
JoBo bildete eine Gruppe mit einem alten Langstreckenkapitän, der er noch von seinen Streifzügen durch die dunklen Gassen von Bangkok kannte. Dieses Team, so war JoBo überzeugt, würde schnell im nahegelegenen Pub landen.

Zara und der Handy-Copilot bildeten ein Team und alle bemitleideten den Jungspund aus dem hohen Norden. Augenbinden wurden verteilt und im Hintergrund lief Dixieland. Der Coach betonte noch einmal die wertvolle Ausbildungsmethotik, die hinter dieser Übung stand und wünschte den Teilnehmern viel Spass und vor allem viel Vertrauen.

Exakt sechs Minuten nach Übungsbeginn wurde JoBo ein großes Helles serviert und die beiden Kapitäne stiessen auf das erfolgreiche Seminar an.

Die Gläser waren noch nicht halb leer, als der Handy-Copilot das Pub betrat. "Wo hast du Zara gelassen?", fragte JoBo neugierig.
"Ach, die habe ich mit verbundenen Augen in ein leeres Schulzimmer gestellt und ihr eingeflösst, sie sollte Vertrauen haben. Mal schauen, wie lange das Vertrauen anhält. Prosit!"

Sechs Grosse später sassen sie noch immer am Tisch und lobten den krönenden Abschluss des anfänglich doch langweiligen Seminars.

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