Sonntag, 4. März 2012

Flug 69 nach JFK


Flug 69 nach JFK

... oder es geht schief, was schief gehen kann.

Epilog

Für einen Blogeintrag braucht es eine Geschichte, Hauptdarsteller und ein paar Pointen. Im Flugzeug gibt es das alles auf engstem Raum. Ein Flugzeug ist ein Theater mit vielen Bühnen, wo jeder – und auch wirklich jeder – meint, er spiele die Hauptrolle. Die engen Gänge sind ein Laufsteg der Eitelkeiten; die Galleys gleichzeitig Hochleistungsküchen, als auch Klatschzentren und die Cockpits das, was sie in der englischen Übersetzung auch bedeuten: eine Bühne für Gockelkämpfe. Besatzungen sind auch nur Menschen, wollen aber auch als solche behandelt werden.

Begleiten sie die Besatzung von Flug SCREW 69 nach New York. Der Flugzeugtyp ist ein Airbus 330, die Crew besteht aus zwölf mehr oder weniger motivierten Leuten. Da sich kein Mensch zwölf Namen merken kann, beschränken wir uns auf fünf Personen. Die Geschichte ist lang, wer sie als pdf lesen möchte, darf sie HIER herunterladen. Schnallen sie sich an, es könnte turbulent werden.

«Cabin Crew, takeoff in one minute!»


Preflight Duty

Jaques Gonfler war wütend. Er knallte den Telefonhörer auf die Gabel und fluchte in seiner Muttersprache Französisch vor sich hin. Im Mehrfamilienhaus hörte ihn keiner. Seit seiner Scheidung wohnte er in der Anflugsschneise in einer Dreizimmerwohnung. Über dem Hausdach tauchte ein vierstrahliger Jet auf, der verzweifelt gegen die Schwerkraft kämpfte. Unüberhörbar wurden die letzten Schubreserven mobilisiert. Man verstand in der Wohnung das eigene Wort nicht mehr, nicht einmal die eigenen Flüche.
«New York statt Bangkok – Merde!»
Zum Weiterfluchen blieb keine Zeit. Die Einsatzleitstelle musste einen kranken Flugkapitän ersetzen und zwar schnell. Flug 69 sollte Zürich in 90 Minuten verlassen und Jaques Gonfler war der einzig verfügbare Ersatz, der in so kurzer Zeit aufgeboten werden konnte.
Er tauschte die Badehosen mit der Winterjacke und die kurzen Shorts mit den langen Unterhosen. Auch die Präservative warf er wütend in die Ecke. Im prüden New York würde er die Zwölferpackung nicht brauchen.
Die Wohnungstür knallte ins Schloss, als er energiegeladen ins Treppenhaus stürzte. In der linken Hand den Koffer und in der rechten den Crew-Bag, rannte er die drei Stockwerke in die Garage hinunter. Der Aufzug war wieder einmal defekt. Mit quietschenden Reifen schoss er aus der Tiefgarage, ohne auch nur einmal in den Rückspiegel zu blicken. Eigentlich schade, denn vielleicht hätte er bemerkt, dass seine Brieftasche mit Reisepass und Kreditkarte in diesem Moment vom Autodach rutschte.

Mit 130 Sachen flog JoBo über den Nordring Richtung Flughafen. JoBo hiess eigentlich Johannes Bohnenblust, aber das klang einfach nicht cool genug für einen frischgebackenen Langstrecken-Copiloten. Das Auto war sein ganzer Stolz. Etwas zu teuer für sein Einkommen, aber standesgemäss, wie er fand. Er freute sich auf den Flug zum Big Apple. Den Kapitän kannte er aus der Umschulung auf die A330. Er war jung, aufgestellt und kompetent, wie es sich für einen Piloten der Luftwaffe gehörte. Dank seinem Können überstanden sie während des Kurses auch den berüchtigten Fluglehrer, der arrogant und aufgeblasen war, wie ein Luftballon an einem Kindergeburtstag. Nein, mit diesem alten Sack wollte er keine acht Stunden im Cockpit verbringen – lieber nicht. Die Raststätte Katzensee war schon vorbei, als sein Handy klingelte. Automatisch reduzierte sich die Lautstärke der Musik und der Bluetooth-Ohrstöpsel begann zu blinken. Ein teures Accessoire, aber in der heutigen Zeit unumgänglich. Es war sein Lieblingskapitän am Ende der Leitung. «Hallo JoBo, ich musste den Flug absagen. Meine Tochter hatte einen Unfall.» Automatisch reduzierte JoBo das Tempo, was auch prompt von einem Mercedes mit Basler Kennzeichen mit Lichthupesignalen quittiert wurde. Am Steuer sass eine ältere Dame mit Föhnfrisur, die zu JoBo’s Belustigung in einer Uniform seiner Fluggesellschaft steckte. «Alte Schachtel», dachte er und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und den Verkehr. «Dann wünsche ich gute Besserung. Schade, dass du nicht mitkommen kannst. Hoffentlich hast du für gleichwertigen Ersatz gesorgt.» «Da muss ich dich leider enttäuschen Jobo, geplant ist das Arschloch aus der Umschulung.»

Trix Sarasin drückte auf die Tube. Die Zürcher konnten einfach nicht Autofahren! Wertvolle Minuten verflogen, in denen sie lieber in der Garderobe noch einmal ihren Lidschatten nachgezogen hätte. Jetzt reduzierte dieser Depp im Audi auch noch das Tempo. «Blöder Ziiiiircher, mach mal Platz da!» Sie betätigte mehrmals die Lichthupe und hoffte die Schnecke so von der Überholspur zu schiessen. Ihre potenten Halogenscheinwerfer verrichteten im Seriefeuermodus ihren Dienst zur vollen Befriedigung von Madame Sarasin. Der junge Schnösel machte Platz. Während dem Überholen erkannte sie die drei goldenen Streifen auf seiner Schulter. «Ein Copilötli!», lachte sie. «Geh mal schön Kurzstrecke fliegen mein Kleiner und lass brav die jungen Dinger in Ruhe. Mama Sarasin jettet heute nach New York.» Sie drückte aufs Gas und die dreihundert Pferde unter dem Stern galoppierten Richtung nächstes Opfer.

Ein leerer Koffer ist nicht kleiner als ein voller. Die Gepäckablagen der Bundesbahnen waren einfach zu klein für den Überseekoffer. Zara hätte auch den Kleinen mitnehmen können. Doch in New York wusste man nie, ob gerade irgendwo Ausverkauf war. Sie plazierte den Koffer im Abteil so, dass jedermann ihre Gepäcketikette mit der Aufschrift «Crew» lesen konnte. Das wäre unnötig gewesen. Zara reiste in Vollmontur. Die Uniform perfekt gebügelt, den Rock ein Spürchen zu kurz und die Strümpfe frisch aus dem Discounter, präsentierte sie sich stolz in ihren neuen Stöckelschuhen. Geschminkt war sie auf der grosszügigen Seite. Die Lippen in sattes Rot getaucht und die Lidschatten so schwarz, als käme sie direkt von einem Nachtflug. Auch Parfüm hatte sie üppig aufgetragen, was den Sitznachbarn zur Rechten dazu bewog, den Platz zu wechseln. Doch von diesen kleinen Makeln abgesehen, repräsentierte sie sich als Vorzeige-Flugbegleiterin. Ihre sportliche Figur passte perfekt in die dunkelblaue Uniform und die Frisur war nicht nur vorschriftskonform, sondern auch der letzte Schrei. Wie unschwerlich zu erkennen, war sich Zara nicht gewohnt, Röcke zu tragen. Eine ältere Dame im Abteil gegenüber machte sie mit Handzeichen diskret darauf aufmerksam, dass Frau in Rock die Beine nicht so spreizen sollte. Verlegen bedankte sich Zara Kaufleuten, verliess die S-Bahn am Flughafen und reihte sich vor der Schlange an der Rolltreppe ein, die Passagiere und Angestellte in die Flughafenhalle brachte.

«Reibst du mir den Rücken mit Body Lotion ein?», rief Roman Richtung Schlafzimmer. Sein Freund machte unter der Decke keinen Wank. «Ach komm, ich verbringe den ganzen Tag in dieser furztrockenen Röhre und du weiss, wie empfindlich meine Haut ist.» Keine Reaktion aus dem Schlafzimmer. «Selber schuld. Wenn der Ausschlag in New York wieder da ist, dann muss ich bei Glen vorbei und der wird mir mehr als den Rücken einsalben.» Immerhin ein «mmmhhh» klang unter der Decke hervor. Roman gab auf und zog sich an. Er bereitete sich auf der Parravicini einen Espresso zu und blickte aus dem Fenster über den Zürichsee. Die neu bezogene Wohnung im Seefeld war einfach paradiesisch. Extrem teuer, aber paradiesisch. Roman hätte die Arbeit als Flight Attendant aus finanzieller Sicht nicht nötig. Sein verstorbener Vater vererbte ihm ein Vermögen, das er selbst bei seinem verschwenderischen Lebenswandel bis zum Tod nie und nimmer hätte durchbringen können. Sein Lover arbeitete als Private Banker und hatte haufenweise schwule Mulimillionäre in seinem Portfolio. Da kam einiges an Geld zusammen im Monat. Genug um das Leben würdevoll zu geniessen. «So steh endlich auf, wir müssen bald los.» Es war Wochenende und sein Partner wollte mit nach New York. Allerdings würde er länger bleiben. Man konnte als Banker privates gut mit geschäftlichem verbinden. Die Zeit wurde knapp, Roman musste gehen. Er bestellte ein Taxi auf den Namen Barfüssler und verliess die gemeinsame Wohnung. Sein Partner hatte noch Zeit. Als First-Class Passagier konnte er bis eine Viertelstunde vor Abflug einchecken.


Briefing

Mit JoBo im Schlepptau betrat Jaques Gonfler den Briefingraum. Die Kabinenbesatzung besprach gerade ein Notfallszenario, doch das störte den Herrn Kapitän nicht im Geringsten. «Guten Morgen!» Die Gespräche verklangen, die Blicke senkten sich Richtung Boden. «Flug nach New York, acht Stunden zwanzig Flugzeit, Turbulenzen wie immer. Johannes das Greenhorn fliegt uns nach Amerika. Er wird euch über das Wetter informieren.» Die Blicke waren noch immer gesenkt, die Flugzeit notiert. Mehr interessierte die Flight Attendants nicht.

Trix Sarasin studierte die Passagierliste der ersten Klasse. Fünf Leute waren geplant, zwei davon sogenannte VON, das sind besonders wichtige und gute Kunden, die verwöhnt und gehätschelt werden müssen. Sie freute sich auf die VON’s. Als Tochter aus gutem Hause war sie es gewohnt, einflussreiche Persönlichkeiten zu betreuen. Das Cockpit würde sie auf diesem Flug vernachlässigen. Ein bornierter Kapitän und ein Copilot, der ihr Sohn sein könnte – nicht ihre Welt. Ihre Welt war die erste Klasse, wo sich Filmstars und Politiker die Sitze teilten, wo es früher Kaviar gab und Zigarren. Ja früher, da war alles besser!

Roman betrachtete den jungen Copiloten. Den süssen Vornamen Johannes hat er durch das coole JoBo getauscht, was ihn keineswegs maskuliner machte. Roman scannte JoBo’s Body und gab ihm gute Noten. Sein knabenhaftes Aussehen gefiel Roman. Er käme nicht als Partner in Frage, aber wäre ein veritabler Seitensprung. Tja, dieses Mal nicht, aber wer weiss.

Zara pflegte ihre Fingernägel gut versteckt hinter der Handtasche. Der Copilot wollte mit seinen Wettermeldungen einfach nicht aufhören. Was meinte der Idiot eigentlich. Dank iPhone waren alle bestens über den Sturm in New York informiert. Trix vielleicht nicht, aber die hatte soviel Haarspray auf ihrem Kopf, dass es einen Hurrikan brauchte, um die Konstruktion in Schieflage zu bringen. Anfänger! Gut, so lange war sie auch noch nicht dabei, aber immerhin flog sie schon zum zweiten Mal nach New York. Ein altes Flughuhn quasi.

Gonfler wurde es zu bunt, er unterbrach JoBo mitten im Satz. «Um es kurz zu machen. Es herrscht Scheisswetter in New York. Wenn’s knallt bei der Landung, war der Kleine Schuld.» Er hatte bereits die Türfalle in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte. «Haben alle den Reisepass? Bei dieser unerfahrenen Crew würde mich nichts verwundern! Hat noch jemand etwas anzufügen?» Roman hob die Hand und informierte, dass er seinen Freund dabei hatte. «Keinen Platz!», knurrte der Kapitän. «Ich nehme grundsätzlich niemanden auf dem Notsitz mit, Schwuchteln sowieso nicht!» Die Tür knallte zu, die Kabinenbesatzung war wieder allein.

«Sympathische Erscheinung», kommentierte die Kabinenchefin und fuhr mit den Notfallinstruktionen fort.

JoBo lief wie ein gewaschener Pudel Richtung Planungsraum. Das war ein Scheissauftritt. Ausgerechnet heute, wo diese Zara in der Besatzung war. Im Cockpit würde sie ihn auch nicht besuchen. Wen wundert’s, bei so einem Büffel als Chef. Scheisse, warum musste die Tochter des Lieblingskapitäns nur einen Unfall bauen.
Der Chef sass vorwurfsvoll am Planungstisch und wartete auf JoBo. «Wo sind die Planungsunterlagen?», fluchte der Kapitän. «Oben im Dispatch, wie immer.» An den umliegenden Tischen gingen die Augenbrauen hoch. «Einmal Arschloch, immer Arschloch», flüsterte ein Kapitänskollege zu seinem Copiloten, studierte die Wetterkarte und schüttelte den Kopf. Gonfler lief militärischen Schrittes zum Flugplaner.
«New York – toute suite s.v.p.!»
«Einen Moment bitte, ich bin noch mit der Tokio Crew beschäftigt.»
«Tokio startet zehn Minuten nach uns.»
«Ja, aber sie waren zuerst.»
«Ca m’intresse pas!»
Wieder verdrehten Kollegen die Augen. Der miserable Ruf Gonflers hatte sich einmal mehr bestätigt. Der Planer schob wortlos einen Stapel Papiere zum verhassten Kapitän und beschäftigte sich weiter mir der Tokio-Crew. Fluchend packte Gonfler die Flugunterlagen und verliess das Büro des Flugplaners. Eigentlich hätte er als verantwortlicher Kapitän noch über eine Pistensperrung an seiner Destination informiert werden sollen, aber das hatte sich damit erledigt.

«Roman mach dir keine Sorgen, ich bringe deinen Freund schon irgendwo unter», flüsterte ihm die Kabinenchefin im Crew-Bus in die Ohren. «Ich mache mir keine Sorgen, falls die Schlafmütze es noch aus dem Bett geschafft hat, ist er bestimmt an Bord. Fest gebucht, erste Klasse.» «Hoppla», antwortete die Kabinenchefin, «das ist aber eine Überraschung.» «Er ist einer der gelisteten VON’s. Sitz 1A. Danke für dein Engagement.» Roman wollte die erste Klasse Hostessen auch über seinen Freund informieren, liess das aber sein. Trix mit ihrer Föhnfrisur, die aussah wie der Haaraufsatz eines Playmobilmännchens, schien komplizierter als erwartet. Besser man lies die alte Madame in Ruhe arbeiten.

Die beiden Piloten redeten kein persönliches Wort miteinander. Gonfler studierte die Flugunterlagen, JoBo das Wetter. Als fliegendem Piloten wäre es eigentlich JoBo zugestanden, die erforderliche Treibstoffmenge zu bestimmen. Doch er machte sich keine Illusionen. Wie erwartet, hat Gonfler den von ihm gewünschten Wert auf das offizielle Formular gesetzt und mit seinem Kurzzeichen unterschrieben. JoBo hätte mehr genommen, traute sich aber nicht zu intervenieren.

Eine Viertelstunde später sass JoBo auf seinem Sitz und stellte die Schalter dorthin, wo sie gemäss Airbus Checkliste stehen sollten. Sein Kapitän schwirrte wie ein Eichhörnchen auf Speed durch die Gänge und trieb ausnahmslos jeden zur Weissglut, der ihm über den Weg lief. Zum ersten Mal hasste JoBo seinen Job.

Pünktlich wurde der Flug nach New York abgedockt und auf den Vorplatz geschoben. Die Triebwerke liefen ordnungsgemäss an und fünf Minuten später schaute die Flugzeugnase Richtung Himmel. Der ganze Flughafen Zürich war erleichtert, als die Maschine den Boden verliess. Für die Besatzung des Fluges 69 begann eine mehrstündige Odyssee. Einer gegen alle, alle gegen einen.


Steigflug

Zara schwitzte in der hintersten Küche. Nicht wegen der Temperatur, sondern wegen den vierzig koscheren Essen. Ausgerechnet heute! Auf alles hatte sie sich vorbereitet, wirklich auf alles. Jüdische Passagiere erwartete sie nicht auf dem Flug nach Amerika. Schlechte Vorbereitung Zara, beheimatete New York doch die grösste jüdische Exilgemeinde der Welt. Das hiess Stress am Boden. Vierzig koschere Mahlzeiten, davon drei vegetarische, fünf Kinder und sieben «non-gluten». Zuerst mussten die Spezialessen am Boden gefunden, dann geprüft, dann bezeichnet und dann auf die Öfen verteilt werden. Zara war schon vor dem Erlöschen des «fasten seat belt» total erschöpft.

Trix konnte es kaum erwarten, den Filmstar auf Sitz 1A zu bedienen. Vermutlich reiste er unter einem Synonym. Der Name auf der Passagierliste klang zu gewöhnlich, zu unbekannt. Während der kleine Copilot versuchte, die Flugzeugnase Richtung Westen zu drehen, schaute Trix in den kleinen Spiegel im Puderdöschen. Die Frisur sitzte, das Make-up auch. Die ersten zehn Minuten wollten nicht verstreichen. Das «fasten seat belt» nicht verschwinden. Endlich das langersehnte «Ping», endlich durfte sie aufstehen. Während die Kabinenchefin in drei Sprachen allerlei Informationen herunterlas, die keine Seele an Bord interessierte, öffnete Trix die Champagnerflasche aus edler Domäne. Handgriffe, die ihr in den vergangenen Jahren in Fleisch und Blut übergingen. Die bauchigen Flaschen benahmen manchmal wie wildgewordene Teenager. Kein Wunder, wurden sie doch gerüttelt und geschüttelt, verladen und wieder entladen. Doch Trix war ihnen gewachsen, sie hätte das noch bei Stromausfall beherrscht. Sanft schälte sie das Aluminium vom Flaschenhals, drehte das Drahtnetz langsam im Gegenuhrzeigersinn und warf den Abfall mit einer Hand elegant in den Eimer, während sie den Champagner mit der anderen auf der schmalen Ablage fixierte. Genau in diesem Moment zwängte sich die dicke Deutsche von 1K hinter ihr durch und das Unglück nahm ihren Lauf. Die kleine Ruckbewegung genügte, um dem Zapfen Auftrieb zu geben und dem Überdruck in der Flasche freien Lauf zu lassen. Begleitet vom einem lauten «Plopf» schoss das Stück Kork durch die Luft und traf Trix so unglücklich am Hals, dass eine blaue Stelle blieb, die einem Knutschfleck nicht unähnlich sah. Kaum spürte die Arme den Aufprall des Zapfens, wurde der Kopf mit kühlem Krug Selectionée 1992 gekühlt. Die Passagierin konnte sich in die Toilette flüchten, die Kabinenchefin und Trix standen nass in der Küche und rochen wie Boxenluder an der Preisverteilung vom grossen Preis von Monaco. Beide brachen in Tränen auch.

In diesem Moment öffnete sich die Cockpittür und Gonfler stand vor den beiden Damen. Er schien von der Katastrophe keine Notiz zu nehmen und bestellte einen doppelten Espresso mit geschäumter Milch und zwar SUBITO!

Die beiden Damen brauchten jetzt dringend eine Toilette. Die der ersten Klasse war besetzt mit der Dicken von 1K. Das konnte eine Ewigkeit dauern! In der Businessklasse hatte es drei der rettenden Tolietten. Zwei waren bereits besetzt, eine zeigte auf Grün. Doch der Weg zur rettenden Insel führte durch die erste Klasse. Beide zögerten. Trix gab eine erbärmliche Figur ab. Die Schminke verteilte sich grosszügig um die Augen und in der Puderschicht bildeten sich tiefe Canyons, in denen eine Mischung von Schweiss, Tränen und Krug Selectionée 1992 hinunterlief. Die Bluse war nass und an zwei Stellen war der Büstenhalter deutlich zu erkennen.

Wieder öffnete sich die Cockpittür und JoBo stand in der Küche. Eigentlich wollte er nur helfen, den Kaffee für den Chef zubereiten. Als er die verzweifelten Damen im Galley erblickte, versuchte er diese etwas aufzuheitern. Aufzuheitern, mit einem Spruch, der zwar zu seinem Alter passte, die reife Trix und ihre Kollegin nicht wirklich trösten konnte: «Na, veranstaltet ihr einen wet T-Shirt contest?»

Hinten im Flugzeug nahmen weder Gäste, noch Besatzungsmitglieder Notiz vom Champagnerunfall im vorderen Galley. Roman verwöhnte die Gäste in der Business-Class, Zara versuchte die Küche in der Econnomy zu managen. Niemand realisierte, dass die Ansage der Kabinenchefin mitten im Satz abrupt stoppte. Nach etwa einer Stunde –, die heissen Essen waren gerade zum Verteilen bereit, erschien Romans Freund in der mittleren Küche. «Nicht jetzt Schatz, ich hab jetzt wirklich keine Zeit! Vergnüge dich vorne bei Lachs und Champagner, ich besuche dich, wenn ich hier fertig bin.» Roman spitzte die Lippen wie es nur Schwule können und wollte seinem Partner links und rechts ein Abschiedsküsschen auf die Wange geben. «Roman, es ist was passiert. Vorne herrscht Chaos!» Romans Mine verfinsterte sich. Rauch, Motorenprobleme oder ein Feuer? Müssen wir Notlanden, den Service abbrechen, Schwimmwesten anziehen? Sein Partner beruhigte ihn. «Im Gegenteil, ihr müsst nicht den Service abbrechen, sondern ihn endlich beginnen. Ich sterbe vor Hunger und Durst habe ich auch.» Wortlos verstaute Roman seinen Schubkarren und lief schnurstracks in die vordere Küche. Das Bild, das ihm geboten wurde beelendete ihn. Trix, die hochnäsige Hostess aus alten Zeiten versuchte verzweifelt einen Knutschfleck mit rosa Puder zu überdecken und die Kabinenchefin reinigte mit Feuchttüchern das Bedienpanel des Bordunterhaltungssystems. Etwas Krug Selectionée 1992 hat sich zwischen die Leiterplatten geschlichen und das ganze System lahmgelegt. Als er in die Gesichter der beiden schaute, sah er nackte Panik.

Roman drehte sich zu seinem Partner um. «Lust auf etwas Spass?» «Logo!», lautete die kurze Antwort und die Zwei legten los. Als erstes verstaute Roman die beiden Heulsusen im kleinen Schlafraum der Piloten. Dieser wurde auf diesem Flug nicht gebraucht, die Betten waren frei. Er holte aus der Bordapotheke Schlaftabletten, breitete die Duvets aus und klopfte die Kissen zurecht. «Gute Nacht die Damen. Seit beruhigt, wir schaukeln das schon.»
Problem eins gelöst.
Nach einem kurzen Telefonat ins Business-Class-Galley arrangierte Roman ein Mittagessen für die beiden Piloten, das selbst Gonfler für über eine Stunde ruhig stellen sollte. Er brachte sämtlichen Lesestoff in französischer Sprache nach vorne, wünschte einen guten Appetit und verabschiedete sich höflich.
Problem zwei gelöst.
In der Zwischenzeit machte sein Freund in der ersten Klasse die Runde. Er beschönigte nichts und informierte die Gäste über den Nervenzusammenbruch der Damen, offenbarte seinen Plan und klopfte dazwischen Sprüche, die den Gästen ein herzhaftes Lachen entlockten. Roman riss in der Küche alle Schubladen auf und stellte die Getränke, die seinem Geschmack entsprachen auf die Seite. Im Nu baute er in der ersten Klasse eine kleine Bar auf und mixte Getränke in allen Farben. «Jetzt zeigen wir denen einmal, wie wir am anderen Ufer Partys feiern!» Die Jalousien wurden heruntergelassen, das Licht gedämpft und der iPod von Roman beschallte die Kabine mit Lounge Musik.
Roman improvisierte. Er arrangierte eine Vorspeiseplatte mit Lachs, Trockenfleisch und Hartkäse, der eigentlich für den Nachtisch gedacht war. Dazu servierte er den Chablis aus der Business-Class, der ihm besser mundete, als der teure Weisswein aus dem Burgenland. Nach drei Flugstunden begann die Dicke aus 1K zu singen. Eine Viertelstunde später schnarchte sie. Die Wagen waren bald leergefressen, die Gäste glücklich.
Problem drei gelöst.
Als Zara nach vier Stunden völlig erschöpf in der vorderen Kabine erschien, wo sie sich etwas zu Essen holen wollte, blieb sie erschrocken stehen. Roman und sein Freund knutschten offensichtlich betrunken in einen Sitz herum, während sich die Dicke von 1K und ihr schmächtiger Nachbar näher kamen, als es sich auf 11000 Metern eigentlich gehörte. «Auweia, das gibt Ärger!»


Reiseflug

«Ich versuche noch einmal zu telefonieren», sagte Gonfler unfreundlich und zog die Kopfhörer an. Schon seit drei Stunden wählte das Arschloch immer wieder die gleiche Nummer – ohne Erfolg. JoBo kümmerte das wenig. Im Gegenteil, so hatte er seine Ruhe und konnte ungestört seine Zeitungen lesen. Gut versteckt vor Gonfler steckte im rechten Ohr ein iPod Ohrstöpsel und beschallte ihn mit Musik von Billy Idol. Soll doch dieser ungehobelte Bock telefonieren so lange er wollte. Flug 69 war mitten über dem Atlantik, noch vier Stunden bis New York.

«Mei Lin? It’s me sweety.»
Gonfler schien Erfolg zu haben. Er schrie mit einem Mix aus Thailändisch und Englisch ins Mikrofon. «No sweety, I’m not coming tonight. Changed plan, going to New York.»
JoBo grinste. Dieser alte Bock hatte also eine Geliebte in Bangkok. Darum war er so unausstehlich, er wollte heute Nacht nach Thailand statt nach New York.
«No sweety, no other girl in New York. You are my best, my number one.»
Dieses «number oooooaaaaaaaane» zog er so in die Länge, dass die Luft in Gonflers Lunge knapp wurde. JoBo musste sich das Lachen verkneifen. Die Szene hatte etwas Surreales. Dieser aufgeblasene Idiot, der vor Selbstvertrauen nur so strotzte, schickte dieses infantile Geblabber in den Äther hinaus und das für 10 Dollar die Minute.
«... oh, prepaid card soon empty .... yes will send you money .... no problem .... mei pen rai ... yes, will send you more money .... love you too, sweety .... you are my number oooooooooooaaaaaane ....»
JoBo hatte genug, er stand ungefragt auf und verliess das Cockpit. Hastig unterbrach Gonfler das Gespräch und konzentrierte sich auf die Instrumente. «Was fällt diesem jungen Schnösel eigentlich ein?», dachte sich der alte Kapitän und schwor sich, dem Kerl die Leviten zu lesen.

JoBo erleichterte sich in der vordersten Toilette und lief durch die erste Klasse, die sich wie ein Saustall präsentierte. Überall standen leere Gläser und Flaschen herum und die Gäste schliefen in den Betten, doch nicht alle allein. JoBo lief weiter durch die Business-Class und stattete der Küche einen Besuch ab. «Was willst du?», fragte Zara wirsch? «Euch besuchen, einen kleinen Schwatz machen oder so.» «Na hör mal du Held der Lüfte. Vier Stunden sind wir durch die Kabine gerannt, haben den Passagieren alle Wünsche von den Augen gelesen, Reklamationen angehört, Gläser aufgefüllt, wieder Reklamationen gehört, Glaser neuerlich aufgefüllt, Chicken, Chicken und nochmals Chicken aufgewärmt und viel zu heissen Kaffee serviert. Seit genau drei Minuten sitze ich zum ersten Mal auf diesem wackligen Klappstuhl und der Herr Copilot will ein Schwätzchen mit mir machen. ICH WILL NICHTS ANDERES ALS MEINE RUHE! HAU AB!»
Konsterniert zog JoBo von Dannen. Ein Besuch in der Holzklasse erübrigte sich. Vorsichtig lief er durch die dunkle First-Class Richtung Cockpit. «Lag da nicht der schwule Steward auf einem Passagier?»

Roman knurrte. Irgend ein Nilpferd trampelte so laut durch die Gänge, dass der Sitz bebte. Die zwei Bloody Mary von vorhin hämmerten an seine Schädeldecke. Er stolperte Richtung Toilette und trat in etwas Weiches, etwas Warmes. Oje, Dame 1K hat sich übergeben und mitten in den Gang gekotzt. Roman machte sich im kleinen Waschraum etwas frisch, braute eine Kanne starken Kaffee und trat mit einem warmen Tuch und drei Alka-Selzer zu 1K. Er wusch ihr vorsichtig das Gekotzte von der Wange, schob ihr die Pillen in den Mund und flösste ihr vorsichtig Wasser ein. Dankbar strich die Hand von 1K über seine Wange und verteilte damit das, was Roman eigentlich wegwischen wollte.
Nach einer Stunde präsentierte sich die Kabine wieder so wie im Prospekt. Roman streute das gebrauchte Kaffeepulver auf den Boden und neutralisierte so den scharfen Geruch aus dem Schlund von 1K. Es roch nach frisch gebrautem Arabica, was den anderen verkaterten Gästen Leben einhauchte. Langsam erwachte der Saustall wieder. 1K steckte in einem frischen Schlafanzug und verdrückte genüsslich ihr Katerfrühstück. Auch der iPod verrichtete wieder seinen Dienst. «Good Morning Amerika how are you ...», scherbelte es aus den viel zu kleinen Lautsprechern und 1K summte mit vollem Mund mit. Die Gäste waren gut gelaunt. Noch zwei Stunden bis zur Landung.

Zara verteilte Berge von Formularen, Formulare für die Einreise, Formulare für die Ausreise, Formulare für die Weiterreise und Formulare für den Zoll. Als ob das nicht schon genug Bürokram wäre, wollte das Management der SCREW von den geschätzten Gästen wissen, wie ihnen die Reise gefallen hätte. Das hiess wiederum weitere 178 Formulare zu verteilen. Die Feedbacks waren wie immer. Passagiere, die den ganzen Flug reklamierten, verteilten die besten Noten. Schweizer hauten «ihre» Airline in die Pfanne. Die schlechtesten Fünfzig wanderten in den Abfall, den Rest würde Zara brav in der Briefkasten der Zonenchefin werfen.

Die Gäste der ersten Klasse rissen Roman die Feedback-Formulare aus den Händen. Sie verteilten ausnahmslos Höchstnoten, was später mit einem vorgedruckten Brief des Zonenchefs verdankt wurde. Dame 1K war das zuwenig. Sie entnahm ihrer Louis Vuitton Tasche ein Schreibset und schrieb mit dem goldenen Mont-Blanc Füller einen vierseitigen Brief an den CEO von SCREW. In höchsten Tönen lobte sie Roman, schlug ihn für höhere Ämter vor, betitelte SCREW mehrmals als beste Airline des Planeten und schob fünf 200 Franken Scheine in das Couvert. Bevor sie dieses aber zuklebte, hielt sie kurz inne. Der CEO würde das Geld sicher für einen guten Zweck spenden – so eine Verschwendung!. Beim Kapitän wäre das Trinkgeld besser aufgehoben. Mit 1000 Franken in der Hand lief sie zur Cockpitür und klopfte heftig. Die Pforte öffnete sich und das grelle Sonnenlicht raubten ihr die Sicht. Gonfler wurde auch geblendet. Was für eine Frau! Welche Fülle! Dieser Busen, diese Hüften, dieser Charme. Die musste er haben!
«Geschätzter Herr Luftkapitän, dieser Flug ist das Beste, was ich je erlebt habe. Ich erlaube mir ihnen für die Crew ein bescheidenes Trinkgeld zu übergeben. Lassen sie es sich in New York gut gehen, geniessen sie den freien Abend in dieser wunderbaren Stadt.»
Galant nahm Gonfler das Couvert entgegen und streckte es dem Copiloten hin. «Geben wir das den Jungen, sie sollen damit Spass haben. Damit wir auch zu unserem Vergnügen kommen, möchte ich sie heute Abend zum Dinner im Ritz einladen. Hätten sie Zeit und Lust mich zu begleiten?»
JoBo flüsterte leise «you my number ooooooooaaaaaaaane» vor sich hin und verstaute das Couvert ungeöffnet in der Brusttasche. 1K wollte. Gonfler und sie verabredeten sich für 20 Uhr. Ein weiteres Satellitengespräch und 140 Dollar Gesprächsgebühren später, war der beste Tisch im Ritz reserviert.

Gonfler war das erste Mal gut gelaunt. Das Wetter schien es ihm gleich zu tun. Kein Sturm in New York, eine leichte Brise aus Nord, Landung auf der 31R, 21 Grad Celsius. JoBo ergriff das Handset und überlegte kurz, was er sagen sollte. Es waren noch 40 Minuten Zeit bis zur Landung, die Gäste wollten informiert werden.
«Ladies an Gentlemen, ........... »

Trix schoss aus ihrem Traum auf und schlug den Kopf heftig gegen das obere Bett. Dort lag die Kabinenchefin noch immer im Koma und redete unwirsches Zeugs im Schlaf. «Aufstehen, wir haben verschlafen!» Mit aller Kraft versuchte sie die Kabinenchefin zu wecken, was ihr nach einigen Minuten auch gelang. «Wir landen in 35 Minuten.» «WAS?»
Roman wusste, was die Ansage des Copiloten bei den Schlafmützen auslösen würde: nackte Panik. Er instruierte vorgängig die Gäste der ersten Klasse, dass die Toilette die letzten 40 Minuten zur Wiederherstellung von Trix und Kabinenchefin reserviert war. 1K stellte ihren Haarspray und den Louis Vuitton Schminktresor bereit, Roman benässte einige Baumwolltücher im Ofen und wärmte sie auf. Im Eilzugstempo wurden die Lidschatten nachgezogen, Blusen gereinigt, Frisuren getrimmt, Büstenhalter gerichtet, Strümpfe gestreckt und Schuhe gewechselt. Drei Minuten vor Touchdown war das Werk vollbracht. «Roman, du bist ein Schatz!»
«Cabin und Galley secured», rapportiere die Kabinenchefin einem seltsam gutgelaunten Gonfler. Zwei Minuten später waren sie am Boden. Die erste Klasse applaudierte frenetisch.

Postflight Duty

Gonfler sass immer noch im Immigrationsbüro, als die Crew an der Ecke 33rd/6th die Koffer ins Zimmer schleppten. Als der Herr Kapitän nach der Landung sein Handy einschaltete, sah er eine SMS des Hauswarts, der ihm mitteilte, dass Gonfler seine Brieftasche samt Pass und Kreditkarte bei ihm abholen könne. Merde! Kein Pass bei der Einreise nach Amerika bedeutete Ärger. Er wies JoBo an, nicht auf ihn zu warten, er hätte am Flughafen noch etwas zu erledigen. JoBo war das mehr als lieb, dem Rest der Crew auch. Bevor sich der Kapitän von seinem Copi verabschiedete, verlangte er das Couvert zurück, dass ihm 1K im Cockpit überreichte. Denn ohne eine Kreditkarte im Sack konnte man schlecht eine Dame von Welt ins Ritz einladen. JoBo tat was ihm befohlen wurde.

Die Kabinenchefin entschuldigte sich im Bus bei der Crew in aller Form. Es war ihr unendlich peinlich, dass sie den ganzen Flug verpennt hatte. Trix schwieg zur ganzen Sache. Auf Zuraten von Roman verzichtete die Kabinenchefin auf eine Selbstanklage bei höherer Stelle. Warum auch? Die Gäste waren zufrieden wie noch nie.
Zara schlief die ganze Fahrt zum Hotel. Sie war müde und ausgelaugt. Kein Wunder, wenn die Hälfte der Besatzung in der ersten Klasse pennte! Sie wollte von der ganzen Bande nichts mehr hören und verabschiedete sich nach Ankunft im Hotel ohne ein Wort zu sagen im Aufzug.
JoBo spielte bei der Ankunft den Gentleman und half den Damen bei Kofferausladen. Zaras roter Rollkoffer hob er mit leichtem Herzklopfen. Er hatte zuhause vor dem Flug einen Brief geschrieben, der er ihr jetzt unbemerkt in die offene Seitentasche des Koffers schob. «Hoffentlich sieht sie ihn noch heute Abend», träumte der junge Casanova und beobachtete enttäuscht, wie Zara wortlos im Lift verschwand.

Die Crew versplitterte sich nach der Ankunft wie eine Streubombe. Jeder hatte seine Pläne, keiner hatte nach dem Flug Lust auf aviatischen Smalltalk. Roman und sein Freund verschwanden in einem angesagten Restaurant in Chelsea und lachten noch den ganzen Abend über die tolle Party an Bord. Nach einem Night-Cup in einer Bar sackten sie in einem Club im Soho ab. Es war schon Morgen, als sie im kleinen Zimmer unter der Decke verschwanden.

JoBo rannte aufs Zimmer und stand sofort unter die Dusche. Zara könnte jeden Moment an die Zimmertür klopfen und Eintritt verlangen. Er musste bereit sein, frisch geduscht! Nach diesem mehrseitigen Brief – übrigens der Erste handgeschriebene seit Jahren – müsste sie das Zimmer des Copiloten förmlich stürmen. Sie kam nicht, sie blieb verschollen. Die Jerry-Springer-Show lief noch, als JoBo auf dem Bett einschlief. Einsam und durstig. Nach drei Stunden weckte ihn ein Schrei im Flur. Er rieb sich die Augen, wusch das Gesicht und trat festentschlossen vor das Zimmer. «Jetzt, oder nie!», dachte er und klopfte an Zaras Zimmertüre.

Trix stand etwas verloren in der Hotel-Lobby und sammelte ihre Gedanken. Vergebens feilschte sie Minuten davor mit dem Concierce um ein Raucherzimmer. Das Letzte war weg – Pech gehabt. Es war nicht ihr Tag, alles schien schief zu gehen. Als sie ins Freie treten wollte, um auf Manhattans Strassen eine Zigarette zu rauchen, wurde sie fast von Zara überrannt. «Nach diesem Flug kann ich unmöglich in einem Raucherzimmer schlafen, ich brauche ein anderes!», schrie sie durch die Lobby. Trix beruhigte das junge Flughuhn, klärte sie über einen möglichen Zimmerwechsel auf und die Beiden traten zusammen an den Hoteltresen.
Fünf Minuten später rauchte Trix ihre Marlboro light auf 507 und Zara entpackte ihren Koffer im rauchfreien 409. Zwischen den Flugunterlagen und den Einkaufsnotizen steckte ein Brief, der da eigentlich nicht hingehörte. Neugierig betrachtete Zara das edle Papier und die unübliche Struktur. Sie öffnete den Umschlag vorsichtig und entnahm einen handgeschriebenen Brief. Ihr Herz hüpfte vor Freude, ein Traum wurde war. In feiner Handschrift und mit dunkler Tinte war etwas sehr persönliches geschrieben: «Danke für den ausgezeichneten und unvergesslichen Flug!» «Tausend Franken!», schrie Zara durch das Zimmer, «tausend Franken!»

Gonfler tobte im Hotelflur wie ein Verrückter. Er brauchte nicht einen Liebensbrief für eine junge Hostess, er brauchte Kohle! «Verdammte Scheisse! Wenn ich diesen JoBo zwischen die Finger kriege! Er machte Rechtsumkehrt stampfte zurück in die Lobby und verlangte eine sofortige Verbindung zum SCREW Hauptquartier. Er machte dem unerfahrenen Angestellten so lange die Hölle heiss, bis dieser die verlangten 5000 Dollar in Bar als Notüberweisung dem Kapitän zustelle «UND ZWAR SOFORT!» Mit viel Bargeld im Sack und frisch geduscht erschien Jaques Gonfler um 20:30 Uhr in der Lobby des Ritz. 1K sass schon etwas sauer am reservierten Tisch und nippte an einem Glas Dry Martini. Die herzliche Begrüssung machte alles wieder wett. Man bestellte ein üppiges Abendbrot, teuren Wein und reichlich Schnaps. Gonflers welscher Charme und das grosszügige Trinkgeld, das Madame sichtlich beeindruckte, taten ihre Wirkung. Sie verschwanden kurz vor Mitternacht in Gonflers Zimmer im Hotel an der 33rd/6th. Hätte Gonfler vor Abflug die Familienpackung Präservative nicht wutentbrannt in die Ecke geworfen, dann wäre er vielleicht neun Monate später nicht zum vierten Mal Vater geworden.

Trix lag auf dem Bett und betrachtete frustriert die Zimmerdecke. Die Schmach vom heutigen Tag war noch nicht verdaut. Sie öffnete die dritte Whisky Miniature, als es an die Zimmertüre klopfte. Müde stand sie auf, stolperte zur Türe und blickte Momente später die weit geöffneten Augen von JoBo. Eine solche Gelegenheit kriegte sie nie wieder. Sie packte den jungen Copiloten am Kragen und riss ihn ins Zimmer. Die Lichter gingen aus.


Nachspann

Eine etwas zerzauste Crew traf sich am nächsten Tag in der Hotellobby an der 33rd/6th. Trix hatte jetzt zwei Knutschflecken und JoBo einen. Gonfler noch immer keinen Pass, aber bald eine Vaterschaftsklage am Hals. Zara schleppte zwei Koffer und drei Einkaufstüten von Macys hinter sich her und Roman verabschiedete sich müde von seinem Partner.
Flug 68 nach Zürich verlief ereignislos und man verabschiedete sich Stunden später im Crewraum des Hauptsitzes voneinander mit Küsschen rechts, Küsschen links und noch einmal Küsschen rechts. Eine ganz normale Rotation ging zu Ende.

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