Montag, 7. Mai 2012

das Ohr des Leaders Teil 4

«Aber nicht diese Pfeife!»
Katharina tobte am Flussufer. 
«Nie und nimmer teile ich ein Kanu mit diesem versoffenen Bock und das Zelt schon gar nicht!»
Dem CRM-Leiter gelang es nur mit Mühe, die Flugverkehrsleiterin zu beruhigen. Ihr Kopf hatte die Farbe des roten Plastikhelms angenommen und ihr Oberkörper bewegte sich bedrohlich auf und ab. Als würde man in einer Kanukluft nicht so schon dämlich genug aussehen, stand JoBo aus Mangel an langen Neoprenhosen jetzt buchstäblich mit abgesägten Hosen da.

Das ganze Herumtoben nützte nichts, die Teams waren zusammengestellt und der CRM-Coach betonte übertrieben fürsorglich, dass die Herausforderungen des Flusses eine gute Gelegenheit wären, dass sich die zwei Streithähne etwas beruhigen und in den kalten Fluten Frieden schliessen könnten.

Der Leiter trommelte die Gruppe zusammen und gab die ersten Instruktionen. Er erkundigte sich, wer bereits Wildwassererfahrung besitze und gab Tipps, wie man sich bei Kenterungen zu verhalten habe.
Er erwähnte auch die Vorzüge der traumhaften Landschaft und las von einer der Informationstafeln ab, was eigentlich niemanden interessierte:

Am westlichen Rand der Schweiz, in einem tief eingeschnittenen Tal befindet sich eine Flusslandschaft von herausragender Schönheit und Ursprünglichkeit. Jäh bricht die malerische Hochebene der Franches Montagnes hier in steil abfallenden Bergflanken zum Tal des Doubs ab. Wegen der dünnen Besiedlung und des unwegsamen Geländes ist der Flusslauf in einem heute äusserst selten gewordenen natürlichen Zustand geblieben. Der Doubs mäandriert frei und meist gemütlich in der engen Talsohle. An wenigen Stellen zeigt er sich wilder und spritziger...

«Wenn Du in diesen drei Tagen nicht spurst, dann fahre ich Dir in die Eier wie neulich in Deine Protzkarre! Also keinen Pieps Du ärmliches Pilötchen!»

…das feuchte Klima lässt üppiges Grün gedeihen, sogar die Steine sind völlig von Moos bedeckt. In dieser fruchtbaren Idylle ist eine artenreiche Tierwelt zu beobachten. So ist der Doubs auch bei Fischern ausserordentlich beliebt.

«Fischfutter mache ich aus Dir, wenn Du mir im Zelt zu nahe kommst und wehe Du schnarchst!»

Aufgrund der strengen Naturschutzbestimmungen und Regelungen mit der Fischerei, aber auch wegen der einzelnen Stromschnellen ist eine Befahrung mit dem Kanu nur unter professioneller Führung zu empfehlen. Dieses Naturparadies ist fragil und verdient eine verantwortungsvolle Nutzung.

Endlich ging es los und die Boote wurden zu Wasser gelassen. Üblicherweise sass vorne eine Dame und hinten der Mann. Dies aus zweierlei Gründen: Erstens war der Mann in der Regel schwerer und zweites konnte der Hintere das Boot so steuern, wie er wollte. Nur im Zweier JoBo/Katharina sass die Frau hinten.

Die Fahrt begann rasant. Das Wasser schäumte und der Neoprenanzug sog sich voll Wasser. JoBo bekam eine Welle voll ins Gesicht und rang nach Luft. Die Brille erwies sich als störend und so übersah er das Drama, das sich geschätzte zwei Meter vor ihnen ereignete. Der Chefpilot und die Leiterin der Crew-Bus-Organisation, beides Alpha-Tiere, konnten sich bei einer Stromschnelle nicht über den richtigen Weg einigen und wurden quer vor einen mit Moos bewachsenen Stein gedrückt. Dass Boot kippte nach vorne und die beiden Alpha-Tiere machten Bekanntschaft mit dem 14-grädigen Doubs. Der Chefpilot schrie wie am Spiess, nicht aus Angst oder Scham, sondern weil sein firmeneigenes Handy Opfer der Fluten wurde. Die Chefin der Crew-Bus-Disposition paddelte wild mit den Armen mit dem Ziel, dass die extra für diesen Anlass gestylte Outdoorfrisur nicht ihren halt verlor. Beide Schlachten gingen verloren und zu allem Unglück fuhr der Zweiter JoBo/Katharina dem Chefpiloten über seinen gelben Helm, wovon am Abend eine ziemliche Beule davon zeugte.

Katharina schrie vor Freude, Jobo machte sich vor Angst in den Neoprenanzug, was wegen den Unmengen Wassers im Boot niemand merkte.

Müde und durchgefroren kam die Truppe vier Stunden später in Soubey an. Die Boote wurden an Land gezogen und zitternd wartete die Gruppe auf den Bus, der sie nach Goumois zurückbrachte. Der CRM-Coach überbrückte die Wartezeit damit, dass er vor dem Touristenbüro die Informationstafel vorlies. Ein Raunen ging durch die Gruppe, doch der Coach liess sich nicht beirren:

Soubey ist geprägt von der Landwirtschaft (v.a. Milchwirtschaft und Viehzucht). Auf 13,5 km2 Fläche leben lediglich 150 Einwohner. Das Gemeindegebiet umfasst einen Abschnitt des Clos du Doubs. Die Talflanken sind bis zu 500 m hoch. Dem Fluss entlang sind hier meist Auen zu finden, die 200 bis 300 Meter breit sind…

«He Coach, das interessiert doch keine Sau», rief Katharina dem Chef entgegen, «organisiere lieber eine Runde Glühwein!» Es nützte nichts:

…Die Pfarreikirche Saint-Valbert stammt aus dem Jahr 1632 und weist als einzige Schweizer Kirche nördlich der Alpen ein Dach aus Kalksteinplatten auf. Die dünnen Platten stammen aus Steinbrüchen der Region und sind ausserordentlich schwer. Die Fenster wurden von Coghuf 1962 gestaltet…

«He Pfeiffe, hast Dich gut geschlagen auf den wilden Wassern des Juras! Hast ein paar Punkte gutgemacht, Dein Saldo liegt jetzt bei Minus 5000.»

…Der Ortskern ist geprägt von den alten Häusern aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Wenn man die nach Sainglégier führende Strasse verlässt und beim ersten Weg links abbiegt, gelangt man zur sehenswerten Mühle aus dem Jahr 1565, wo sich heute eine Forellenzucht befindet, die auch besichtigt werden kann. Ein Spaziergang zum Kreuz oberhalb des Dorfes wird mit einer sehr schönen Aussicht über das Dorf und das Tal belohnt…

«Ich habe Aussicht auf den Bus – er kommt!» Es kam Unruhe in die Gruppe und alle liefen Richtung Bus. Nur der Coach liess sich nicht beirren und beendete die touristische Information zum einem Dorf, das niemanden interessierte.

…Empfehlenswert sind die Wander- und Bikewege entlang der Doubs-Ufer durch intakte Naturlandschaften. Der Fluss ist auch bei Kanuten und Fischern sehr beliebt.

Die Boote waren dank der Anleitung des Busfahrers schnell festgezurrt und jedermann sass an seinem Platz. Jedermann? Niemand bemerkte, dass sich der Chefpilot aufmachte, eine funktionierende Telefonzelle zu finden (falls hier unter 30-Jährige mitlesen, eine Telefonzelle war so quasi ein fest im Boden installiertes Handy mit Hülle drum und einem Gestank darin, der half die Telefonkosten auf einem niedrigen Niveau zu halten). Schliesslich wollte der Stellvertreter in Zürich informiert sein, dass der Chef, ohne den in Zürich ja gar nichts funktionierte, handylos in den Pampas verloren war.
Der Chefpilot fand keine Telefonzelle, aber eine Hausfrau, die ihn auf dem Festnetz (falls jemand nicht weiss was ein Festnetz ist, soll er sich bei Wikipedia informieren) telefonieren liess. Er informierte seinen Stellvertreter, dieser organisierte ein Taxi und ein in der nähe wohnender Kapitän versorgte den Chef mit trockenen Kleidern. Vier Stunden später sass der Chefpilot in seinem Büro in Kloten und beantwortete die ersten e-Mails.
Es dauerte geschlagene fünf Stunden, bis der erste Teilnehmer den Chefpiloten vermisste. Man informierte die firmeneigene Alarmstelle, die wiederum das Chefpilotenbüro in Kenntnis setzte, wo der Vermisste den Anruf persönlich entgegennahm. Es war noch nicht Abend, als der Kurs bereits einen Teilnehmer weniger zählte.

Der Rest des Tages bestand für die Teilnehmer aus der normalen Camping-Scheisse. Kochen auf Kochstellen, die sich fürs Kochen nicht eignen. Sitzen auf Sitzgelegenheiten, die fürs Sitzen unbrauchbar sind und Abwaschen mit Infrastruktur, die fürs Abwaschen zu umständlich ist. Danach folgte das übliche Lagerfeuer mit den üblichen Spielchen, den üblichen Geschichten und der üblichen Langeweile. JoBo hatte Glück und sass neben einem M/C, der schwarzen Afghan erster Sahne dabei hatte. Die beiden kifften sich ins Glück.
Mit Katharina wechselte er nach dem Kanuabenteuer kein Wort. Als er das Zelt Nummer vier betrat, war diese bereits in einen Daunenschlafsack eingehüllt und schlief so tief wie ein Murmeltier. Sie schnarchte leicht, was JoBo ihr am nächsten Tag sicher nicht sagen würde.

Der schwarze Afghan leistete ganze Arbeit. JoBo schlief sofort ein und verschwand im Reich der Träume.

Ein lauter Trompetenstoss gefolgt von schallendem Gelächter Katharinas folgten am frühen Morgen. JoBo war verkatert und realisierte nicht, dass das Lachen ihm galt. Unter dem Zelt Nummer vier hatte sich ein weiteres Zelt gebildet. In JoBo’s Lendengegend stand etwas senkrecht nach oben, das so um diese Uhrzeit nur senkrecht nach oben schaut, wenn Mann a) gut geträumt, oder b) noch besser geträumt hat. Zusammen mit der übervollen Blase erzeugte das einen Druck auf den Schlafsack, dass dieser unter den Kräften fast zu bersten drohte. JoBo wusste, dass nur ein schnelles Harnlassen Linderung brachte, hatte aber im besten Willen keine Idee, wie er das in dieser Zeltstadt mit offenem Pissoir anstellen sollte. Es blieb nur ein Ausweg. Jobo rannte nackt Richtung Doubs und sprang schwanzvoran in die kalten Fluten.
Katharina genoss die Szene sichtlich, betrachtete das Ergebnis nächtlicher Träume eingiebig und notierte in Gedanken einen neuen Punktestand. JoBo’s Saldo verliess mit einem grossen Sprung die Minuszone.

Fortsetzung folgt.

Der Doubs war die einfachste Lösung




3 Kommentare:

  1. Einfach nur genial! Das wird noch so richtig interessant.

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  2. Da fragt sich die ahnungslose Leserin schon, ob der Schreiberling über eine derart blühende, mitunter leicht schmutzige Fantasie verfügt (Stichwort "Trudi-Gerster-Gene"), oder ob er da aus dem Nähkästchen erzählt.
    Einewäg, umwerfend gut! Und damit meine ich sowohl Schreibstil wie Inhalt.

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  3. Eigentlich war ich sehr erbost ueber meine vielen Standby's. Als ich aber waehrend der Warterei diese tollen Geschichten lesen konnte, verging die Zeit ploetzlich viel schneller!

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