«Aber nicht diese
Pfeife!»
Katharina tobte am
Flussufer.
«Nie und nimmer teile ich ein Kanu mit diesem versoffenen Bock und das
Zelt schon gar nicht!»
Dem CRM-Leiter
gelang es nur mit Mühe, die Flugverkehrsleiterin zu beruhigen. Ihr Kopf hatte
die Farbe des roten Plastikhelms angenommen und ihr Oberkörper bewegte sich
bedrohlich auf und ab. Als würde man in einer Kanukluft nicht so schon dämlich
genug aussehen, stand JoBo aus Mangel an langen Neoprenhosen jetzt buchstäblich
mit abgesägten Hosen da.
Das ganze
Herumtoben nützte nichts, die Teams waren zusammengestellt und der CRM-Coach
betonte übertrieben fürsorglich, dass die Herausforderungen des Flusses eine
gute Gelegenheit wären, dass sich die zwei Streithähne etwas beruhigen und in
den kalten Fluten Frieden schliessen könnten.
Der Leiter
trommelte die Gruppe zusammen und gab die ersten Instruktionen. Er erkundigte
sich, wer bereits Wildwassererfahrung besitze und gab Tipps, wie man sich bei
Kenterungen zu verhalten habe.
Er erwähnte auch
die Vorzüge der traumhaften Landschaft und las von einer der Informationstafeln
ab, was eigentlich niemanden interessierte:
Am westlichen Rand der Schweiz, in einem
tief eingeschnittenen Tal befindet sich eine Flusslandschaft von herausragender
Schönheit und Ursprünglichkeit. Jäh bricht die malerische Hochebene der
Franches Montagnes hier in steil abfallenden Bergflanken zum Tal des Doubs ab.
Wegen der dünnen Besiedlung und des unwegsamen Geländes ist der Flusslauf in
einem heute äusserst selten gewordenen natürlichen Zustand geblieben. Der Doubs
mäandriert frei und meist gemütlich in der engen Talsohle. An wenigen Stellen
zeigt er sich wilder und spritziger...
«Wenn Du in
diesen drei Tagen nicht spurst, dann fahre ich Dir in die Eier wie neulich in
Deine Protzkarre! Also keinen Pieps Du ärmliches Pilötchen!»
…das feuchte Klima lässt üppiges Grün
gedeihen, sogar die Steine sind völlig von Moos bedeckt. In dieser fruchtbaren
Idylle ist eine artenreiche Tierwelt zu beobachten. So ist der Doubs auch bei
Fischern ausserordentlich beliebt.
«Fischfutter
mache ich aus Dir, wenn Du mir im Zelt zu nahe kommst und wehe Du schnarchst!»
Aufgrund der strengen
Naturschutzbestimmungen und Regelungen mit der Fischerei, aber auch wegen der
einzelnen Stromschnellen ist eine Befahrung mit dem Kanu nur unter
professioneller Führung zu empfehlen. Dieses Naturparadies ist fragil und
verdient eine verantwortungsvolle Nutzung.
Endlich ging es los
und die Boote wurden zu Wasser gelassen. Üblicherweise sass vorne eine Dame und
hinten der Mann. Dies aus zweierlei Gründen: Erstens war der Mann in der Regel
schwerer und zweites konnte der Hintere das Boot so steuern, wie er wollte. Nur
im Zweier JoBo/Katharina sass die Frau hinten.
Die Fahrt begann
rasant. Das Wasser schäumte und der Neoprenanzug sog sich voll Wasser. JoBo bekam
eine Welle voll ins Gesicht und rang nach Luft. Die Brille erwies sich als
störend und so übersah er das Drama, das sich geschätzte zwei Meter vor ihnen
ereignete. Der Chefpilot und die Leiterin der Crew-Bus-Organisation, beides
Alpha-Tiere, konnten sich bei einer Stromschnelle nicht über den richtigen Weg
einigen und wurden quer vor einen mit Moos bewachsenen Stein gedrückt. Dass
Boot kippte nach vorne und die beiden Alpha-Tiere machten Bekanntschaft mit dem
14-grädigen Doubs. Der Chefpilot schrie wie am Spiess, nicht aus Angst oder
Scham, sondern weil sein firmeneigenes Handy Opfer der Fluten wurde. Die Chefin
der Crew-Bus-Disposition paddelte wild mit den Armen mit dem Ziel, dass die
extra für diesen Anlass gestylte Outdoorfrisur nicht ihren halt verlor. Beide
Schlachten gingen verloren und zu allem Unglück fuhr der Zweiter JoBo/Katharina
dem Chefpiloten über seinen gelben Helm, wovon am Abend eine ziemliche Beule
davon zeugte.
Katharina schrie
vor Freude, Jobo machte sich vor Angst in den Neoprenanzug, was wegen den
Unmengen Wassers im Boot niemand merkte.
Müde und
durchgefroren kam die Truppe vier Stunden später in Soubey an. Die Boote wurden
an Land gezogen und zitternd wartete die Gruppe auf den Bus, der sie nach
Goumois zurückbrachte. Der CRM-Coach überbrückte die Wartezeit damit, dass er
vor dem Touristenbüro die Informationstafel vorlies. Ein Raunen ging durch die
Gruppe, doch der Coach liess sich nicht beirren:
Soubey ist geprägt von der Landwirtschaft
(v.a. Milchwirtschaft und Viehzucht). Auf 13,5 km2 Fläche leben lediglich 150
Einwohner. Das Gemeindegebiet umfasst einen Abschnitt des Clos du Doubs. Die
Talflanken sind bis zu 500 m hoch. Dem Fluss entlang sind hier meist Auen zu
finden, die 200 bis 300 Meter breit sind…
«He Coach, das
interessiert doch keine Sau», rief Katharina dem Chef entgegen, «organisiere
lieber eine Runde Glühwein!» Es nützte nichts:
…Die Pfarreikirche Saint-Valbert stammt aus
dem Jahr 1632 und weist als einzige Schweizer Kirche nördlich der Alpen ein
Dach aus Kalksteinplatten auf. Die dünnen Platten stammen aus Steinbrüchen der
Region und sind ausserordentlich schwer. Die Fenster wurden von Coghuf 1962
gestaltet…
«He Pfeiffe, hast
Dich gut geschlagen auf den wilden Wassern des Juras! Hast ein paar Punkte
gutgemacht, Dein Saldo liegt jetzt bei Minus 5000.»
…Der Ortskern ist geprägt von den alten
Häusern aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Wenn man die nach Sainglégier führende
Strasse verlässt und beim ersten Weg links abbiegt, gelangt man zur
sehenswerten Mühle aus dem Jahr 1565, wo sich heute eine Forellenzucht
befindet, die auch besichtigt werden kann. Ein Spaziergang zum Kreuz oberhalb
des Dorfes wird mit einer sehr schönen Aussicht über das Dorf und das Tal
belohnt…
«Ich habe
Aussicht auf den Bus – er kommt!» Es kam Unruhe in die Gruppe und alle liefen
Richtung Bus. Nur der Coach liess sich nicht beirren und beendete die
touristische Information zum einem Dorf, das niemanden interessierte.
…Empfehlenswert sind die Wander- und
Bikewege entlang der Doubs-Ufer durch intakte Naturlandschaften. Der Fluss ist
auch bei Kanuten und Fischern sehr beliebt.
Die Boote waren
dank der Anleitung des Busfahrers schnell festgezurrt und jedermann sass an
seinem Platz. Jedermann? Niemand bemerkte, dass sich der Chefpilot aufmachte,
eine funktionierende Telefonzelle zu finden (falls hier unter 30-Jährige
mitlesen, eine Telefonzelle war so quasi ein fest im Boden installiertes Handy
mit Hülle drum und einem Gestank darin, der half die Telefonkosten auf einem
niedrigen Niveau zu halten). Schliesslich wollte der Stellvertreter in Zürich
informiert sein, dass der Chef, ohne den in Zürich ja gar nichts funktionierte,
handylos in den Pampas verloren war.
Der Chefpilot fand
keine Telefonzelle, aber eine Hausfrau, die ihn auf dem Festnetz (falls jemand
nicht weiss was ein Festnetz ist, soll er sich bei Wikipedia informieren)
telefonieren liess. Er informierte seinen Stellvertreter, dieser organisierte
ein Taxi und ein in der nähe wohnender Kapitän versorgte den Chef mit trockenen
Kleidern. Vier Stunden später sass der Chefpilot in seinem Büro in Kloten und
beantwortete die ersten e-Mails.
Es dauerte
geschlagene fünf Stunden, bis der erste Teilnehmer den Chefpiloten vermisste.
Man informierte die firmeneigene Alarmstelle, die wiederum das Chefpilotenbüro
in Kenntnis setzte, wo der Vermisste den Anruf persönlich entgegennahm. Es war
noch nicht Abend, als der Kurs bereits einen Teilnehmer weniger zählte.
Der Rest des Tages
bestand für die Teilnehmer aus der normalen Camping-Scheisse. Kochen auf
Kochstellen, die sich fürs Kochen nicht eignen. Sitzen auf Sitzgelegenheiten,
die fürs Sitzen unbrauchbar sind und Abwaschen mit Infrastruktur, die fürs
Abwaschen zu umständlich ist. Danach folgte das übliche Lagerfeuer mit den
üblichen Spielchen, den üblichen Geschichten und der üblichen Langeweile. JoBo
hatte Glück und sass neben einem M/C, der schwarzen Afghan erster Sahne dabei
hatte. Die beiden kifften sich ins Glück.
Mit Katharina
wechselte er nach dem Kanuabenteuer kein Wort. Als er das Zelt Nummer vier
betrat, war diese bereits in einen Daunenschlafsack eingehüllt und schlief so
tief wie ein Murmeltier. Sie schnarchte leicht, was JoBo ihr am nächsten Tag
sicher nicht sagen würde.
Der schwarze Afghan
leistete ganze Arbeit. JoBo schlief sofort ein und verschwand im Reich der
Träume.
Ein lauter Trompetenstoss
gefolgt von schallendem Gelächter Katharinas folgten am frühen Morgen. JoBo war
verkatert und realisierte nicht, dass das Lachen ihm galt. Unter dem Zelt
Nummer vier hatte sich ein weiteres Zelt gebildet. In JoBo’s Lendengegend stand
etwas senkrecht nach oben, das so um diese Uhrzeit nur senkrecht nach oben
schaut, wenn Mann a) gut geträumt, oder b) noch besser geträumt hat. Zusammen
mit der übervollen Blase erzeugte das einen Druck auf den Schlafsack, dass
dieser unter den Kräften fast zu bersten drohte. JoBo wusste, dass nur ein
schnelles Harnlassen Linderung brachte, hatte aber im besten Willen keine Idee,
wie er das in dieser Zeltstadt mit offenem Pissoir anstellen sollte. Es blieb
nur ein Ausweg. Jobo rannte nackt Richtung Doubs und sprang schwanzvoran in die
kalten Fluten.
Katharina genoss
die Szene sichtlich, betrachtete das Ergebnis nächtlicher Träume eingiebig und
notierte in Gedanken einen neuen Punktestand. JoBo’s Saldo verliess mit einem
grossen Sprung die Minuszone.
Fortsetzung folgt.
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Der Doubs war die einfachste Lösung |