Ein
regnerischer Samstag im April. Kein Hund wollte nach draussen, keine Seele
trieb sich vor dem Haus herum. Um der Langeweile zu entfliehen, suchten Mensch
und Tier Zuflucht im Shopping Center in Spreitenbach. Die Anfahrt war mühsam,
die Parkplatzsuche eine Qual.
JoBo
kurvte von Stockwerk zu Stockwerk und suchte eine Lücke für seinen roten Golf
V77. In Liftnähe war es aussichts-, in den hinteren Reihen hoffnungslos.
Zwischen einem Mini Cooper und einem tiefergelegenen Traktor mit 450 PS sah er
eine Lücke in der hinteren Reihe. Er wendete, schaltete in den Rückwärtsgang
und zielte auf die vermeintliche Lücke zu. Der Parkplatz war frei, aber die
beiden Wagen zu seiner rechten und linken standen so «schepps» im Parkfeld,
dass selbst JoBo’s Golf keinen Platz fand. Der Hauptübeltäter war ein blauer
Nissan unbekannten Typs mit einer verbeulten Fahrertüre und einem Wimpel vom FC
Basel am Rückspiegel. Das war für den langjährigen FCZ-Fan des Guten zuviel. Er
griff zu Papier und Schreiber und schrieb den Satz, den er zu diesem Anlass
gerne zitierte, auf den Zettel, und klebte ihn unter den vorderen
Scheibenwischer.
Zufrieden
zog er von dannen, betrachtete das rollende Wrack noch einmal von hinten,
memorisierte das Abziehbild auf der Rückseite und fragte sich, was «swissacta»
wohl für eine Sekte sei. Macht ja nichts, wenn der Fahrer oder die Fahrerin
religiös fanatisch veranlagt wäre, würde der Satz seine Wirkung gleich doppelt
entfalten.
Als
JoBo mit quietschen Reifen hinter dem Betonpfosten verschwand, flatterte der
Zettel mit der Aufschrift: «Wenn sie so vögeln wie sie parkieren, dann kriegen
sie nie einen rein!» im Luftzug der Klimaanlage.
Eine
Viertelstunde später stand er vor dem Frischgemüse in der Migros. Vor ihm stand
eine ältere Dame, die jeden Sellerie kritisch prüfte, in den Händen kreisen
liess und dann wieder zurücklegte. Auch die Tomaten und der Salat schienen
prüfenswert zu sein, denn sämtliche Kunden betatschten das Frischgemüse, als
wären es die Titten der Geliebten. JoBo schauderte es, er wechselte in die
Gefrierabteilung und legte sich tiefgefrorene Broccoli aus Kalifornien in den
Einkaufswagen. Der Einkauf war an diesem verregneten Samstagnachmittag ein
Spiessrutenlauf. Kinder rannten kreischend hin und her, Männer suchten ihre Frauen
und die Frauen flüchteten vor ihren Männern. Dass an diesem Samstag auch noch
doppelte Cumulus-Punkte gutgeschrieben wurden, entschärfte die Situation
keineswegs. Aus der Brotabteilung roch es himmlisch. Marketingmässig schlau
angebracht, buken die Helfer frische Brote inmitten der Verkaufsfläche und
zogen so die hungrigen Mäuler an, wie der Speck die Maden. So auch JoBo.
Zwischen
ihm und den frischen Hefezöpfen standen zwei Familien mit Ihren Schützlingen.
«Doch,
doch – es geht schon viel besser. Der Karli hat mich angesteckt seit letzter
Woche bringe ich den Husten kaum mehr weg. Jetzt haben ihn die Kinder auch.
Etwas fiebrig sind sie, aber ich dachte, so ein Besuch im Shoppi kann nicht
schaden.» «GESUNDHEIT! – Hand vor den Mund, wie oft soll ich dir das noch
sagen?» «Nein, nicht diese Brot, das andere! Ist es auch frisch? Drück mal
daran!» «GESUNDHEIT! – aber nein, jetzt hast du genau auf das frische Brot
genossen! Leg es wieder zurück und nimm ein anderes! Ach diese Kinder, man hat
es nicht einfach als Mutter heutzutage!»
JoBo
ist der Appetit vergangen. Er machte rechtsumkehrt und kaufte in der
Frischbackabteilung zwei Frischbackbrote, die laut Angaben auf der Verpackung
in keimfreier Umgebung abgepackt wurden und durch ein besonderes Gas in der Verpackung
geschützt sind.
In
diesem Moment ging das Licht aus.
Für
einen Moment war es mucksmäuschen Still. Aus der Brotabteilung erklang ein
feuchtnasses Husten, aber sonst war kein Ton zu hören.
«Geschätzte
Kundinnen und Kunden. Das ganze Einkaufszentrum ist von einem Stromausfall
betroffen. Bitte verlassen sie umgehend den Laden und lassen sie alle noch
nicht bezahlten Waren zurück. Zuwiderhandlungen gegen diese Aufforderung werden
rechtlich verfolgt. Wir bitten um Verständnis.»
JoBo
griff nach seinem iPhone und beleuchtete den Fluchtweg. Obwohl er den Weg nach
draussen auch im Schlaf gefunden hätte, war er um die Lichtquelle froh. Überall
standen Einkaufskörbe und Wagen herum und Kinder suchten schreiend nach ihren
Eltern. Zwischen den Toilettenartikeln und der Tiernahrung legte JoBo eine
Verschnaufpause ein und blickte auf sein iPhone. In der Mailbox hatte es eine
neue Mail. Er drückte auf die entsprechende App und las mit erstaunen einen
Satz, den er im ersten Moment gar nicht verstand: «The ear of the leader must
ring with the voices of the people.»
Das
Mail kam aus dem Chefpilotenbüro und das an einem Samstagnachmittag. Das musste
wichtig sein. So lud er das beigelegte pdf-File herunter und setzte sich auf
einen Karton voller Damenbinden, die eine Praktikantin in den nächsten Minuten
hätte einräumen müssen.
«The ear of
the leader must ring with the voices of the people.»
Täglich haben wir die
Kolleginnen und Kollegen der Flugverkehrsleitung im Ohr und wundern uns, warum
dies und das so gemacht wird. Der Gegenseite geht es genauso darum haben sich
die beiden Organisationen darauf geeinigt, dass sich Piloten und
Flugverkehrsleiter einen Tag lang bei der Arbeit zuschauen und falls möglich,
Fragen und Unsicherheiten auf der Stelle klären. Aus der beiliegenden Tabelle
entnehmen sie, wann und wo sie zum Observerdienst eingetragen sind.
Der
Rest des Briefes bestand aus den gewohnten Durchhalteparolen. JoBo streckte die
Beine aus, berührte dabei eine Tafel die Aktionen anpries und löste durch deren
Sturz eine Kettenreaktion aus, die einen Turm aus hunderten gestapelten
Toiletten-Papier-Rollen zum Einsturz brachte.
Er
scrollte nach unten und fand die Tabelle mit den zugewiesenen Daten.
Bohnenblust stand fast zuoberst auf der Liste und es verschlug ihm beim Anblick
des Marschbefehls fast die Sprache. «Treffpunkt ACC Wangen bei Dübendorf, 05:15
Uhr vor dem Haupteingang.» Auch das noch – Frühdienst!
Wochen
später war es soweit. Google Map berechnete von Weiningen bis nach Wangen eine
Fahrzeit von 52 Minuten. Das dünkte JoBo etwas viel, aber er wusste aus
Erfahrung, dass Google Map eher konservativ rechnete. So stellte er den Wecker
auf 03:45 Uhr und schlief schnell ein.
Der
Gubrist war frei, das Brüttiseller Kreuz auch. Um 04:30 Uhr, also eine
dreiviertel Stunde zu früh, bog er auf das Gelände der Skyguide ein. Warum er
dermassen zu früh eintraf, bemerkte er Minuten später. Ein Blick auf den
Ausdruck von Google Map schaffte Klarheit, er gab Wangen an der Aare als
Reiseziel ein, statt Wangen bei Dübendorf. Anfängerfehler, was soll’s. Der
Parkplatz war gut besetzt, die Eingangstüre fest verriegelt. So lief er in
diesen frühen Morgenstunden etwas hin und her und betrachtete die ordentlich
parkierten Autos der Lotsen. Alles gepflegte Modelle mit Geschmack ausgewählt.
Keine Protzkisten, aber solider Mittelstand. «swissacta», wo hatte er diesen
Aufkleber nur schon gesehen? Fast auf jeder Karre war der Sticker zu finden,
JoBo war das egal. Das Licht im Eingangsbereich wurde angeschaltet und die
freundliche Dame des Empfangs lies den frierenden Piloten rein.
«Herr
Bohnenblust der Pilot nehme ich an? Mein Name ist Mirella Meier. Bitte nehmen
sie Platz. Die Kaffeemaschine steht hinter ihnen, bedienen sie sich ruhig. Sie
sind heute im Ost-Sektor mit Frau Katharina von Sigriswil eingeteilt. Katharina
kommt gerne etwas knapp, richten sie sich auf einen Spurt ein, wenn sie die
Eingangstüre durchschreitet.»
Katharina
von Sigriswil, was für ein Name! JoBo versuchte sich die Dame von Patriziergeschlecht
vorzustellen. Schön war sie mit Bestimmtheit nicht, Jung sowieso nicht. Die
Kaffeemaschine funktionierte mit Nespresso-Kapseln. JoBo entschied sich für den
Indriya und bereitete sich einen doppelten Espresso zu.
«Frau
Meier, sind eigentlich alle Lotsen streng gläubig?»
«Warum
fragen sie?»
«Draussen
stehen lauter Autos, die einen Sticker der Sekte «swissacta» angebracht haben.»
Mirella
lachte laut auf. «Wenn sie gewisse Personen in der Geschäftsleitung fragen
würden, ob es sich bei der «swissacta» um eine Sekte handle, ernteten sie mit
Bestimmtheit grosse Zustimmung. Es handelt sich um die Vereinigung der
Fluglotsen. Eine vernünftige, aber schlagkräftige Truppe.» JoBo hielt inne und
versuchte sich daran zu erinnern, warum er sich für diese «swiss-dings-bums»
interessierte. War nicht wichtig.
Draussen
quietschte und rumpelte es. Unter einer dicken Staub und Rauchwolke kam ein alter
Wagen zum Vorschein und eine attraktive Brünette stieg aus und raste auf den
Eingang zu.
«Machen
sie sich auf die Verfolgung Herr Bohnenblust, das ist ihre Chefin am heutigen
Tag.» Mirella Meier lachte und sah das Blinzeln in den Augen des jungen
Kurzstreckenkapitäns. Frau von Sigriswil und Herr Bohnenblust schienen sich zu
verstehen.
JoBo
betrat den Raum mit leichter Ehrfurcht. Hier sassen sie also, die Frauen und
Männer, die ihm Tag für Tag sagten, wie er den Airbus zu fliegen habe. Die
Stimmung war gelöst, die Leute locker gekleidet. Kaum einer der Männer war
rasiert, die meisten hatten eine dampfende Tasse Kaffee vor sich auf dem
grossen Pult. Ein Funkspruch ist noch keiner gefallen, die Maschinen warteten
noch im AMIKI Holding auf die Freigabe zum Anflug. Es herrschte noch
Nachtsperre im Zürich, der Anflug OST sass noch in den Startlöchern.
«Neulich
flog ich Zürich als erster an und irgend so ein Idiot vergass doch tatsächlich
die ILS einzuschalten.» JoBo versuchte mit Witz und Humor auf sich aufmerksam
zu machen. «Neulich sass ich im Turm und irgend so ein Piloten-Idiot versuchte
bei den Geschwindigkeitsvorgaben zu schummeln. Hat ihn 10 Minuten und 800 Kilogramm
Kerosin gekostet.»
Dieses
Votum kam aus der hinteren Ecke und war nicht zur Auflockerung der Stimmung
gedacht.
«Wenn
du heute Nachmittag das Gebäude ohne Kaffeefleck auf deinem weissen Hemd
verlassen willst, halte besser die Klappe.»
Katharina
wirkte plötzlich konzentrierter und begann die Punkte auf dem Bildschirm herum
zu dirigieren.
«Thai
978 turn right heading 320, descent to FL80 and reduce to 180 knots.»
«Screw
122 descent to 7000ft, QNH 1011. Report your speed!»
«I
told you to maintain 210 knots, turn right HDG 310 and reduce to 170 knots.»
«Dass
ihr Idioten der Screw euch nie an die Geschwindigkeitsvorgaben halten könnt.»
«Negative,
you’re not number one for approach, you’re number three in sequence and if
you’re not maintaining 170 knots, you become sooner or later number five.»
«DELTA
ECHO HOTEL INDIA PAPA – remain outside CTR ZRH, turn left HDG 170 and climb at
least to 10500 feets, there are mountains ahead!»
«Auch
das noch, ein Piper aus dem Schwabenland!»
So
ging das weiter die nächste halbe Stunde. JoBo verlor bereits nach fünf Minuten
die Übersicht und hätte in dieser ersten Schicht als Lotse ein Chaos
angerichtet. Er war froh, als Katharina des Mikro abgab und ihn in den
Pausenraum schleppte.
«Hat
das Pilötchen wenigstens Schokoladen mitgebracht?», fragte ein Kollege
Katharinas beim vorbeigehen. JoBo hatte nicht.
«Sag
mal Katharina, du bist Bernerin, redest so schnell wie eine Miss Schweiz aus
dem Thurgau und fährst Auto wie ein Rennfahrer auf der Cardbahn...»
«...
und parkieren kann ich auch nicht, neulich hat mir so ein Idiot im Shoppi
Spreitenbach… »
JoBo
fielen die Schuppen von den Augen. Da lag Ärger in der Luft.
Fortsetzung
folgt!
Oh, das wird noch interessant.
AntwortenLöschenTolle Geschichte1
Wenigstens hatte JoBo keine Schoggi dabei! Wäre ja noch schöner, wenn wiir jeden in die Schoggi Connection aufnehmen müssten...
AntwortenLöschenUnd sowas lässt man auf die Leute los - kann nicht mal Wangen von Wangen unterscheiden. Mit SCREW werde ich nie fliegen!
AntwortenLöschenIch freue mich schon auf die Fortsetzung.